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Zweifel

Hast du manchmal Zweifel?

Hast du manchmal Zweifel? An deiner Art, dein Kind zu erziehen und zu begleiten, an deinem Kind selbst, an seiner Entwicklung?

Selbst wenn wir eigentlich dachten, wir begleiten unser Kind "einfach" nach einem guten, gesunden Bauchgefühl, oder wir haben uns im Gegenteil sogar sehr gründlich informiert und belesen und sind von unserer gewählten Erziehungsform ganz überzeugt, erleben wir doch immer wieder leise oder lautere Zweifel:
Hätte ich mein Kind schon früher an gesellschaftliche Regeln gewöhnen müssen? Hätte ich es nicht so lange tragen/stillen/im Familienbett schlafen lassen sollen, hätte es sich dann zu mehr Eigenständigkeit entwickelt? Würde es dann jetzt besser essen/schlafen/laufen...?
Andere Kinder scheinen oft so viel unkomplizierter, eigenständiger und wohlerzogener zu sein, als das eigene. Sie schlafen früh durch und alleine in ihrem Zimmer, sie beschäftigen sich problemlos längere Zeit alleine und lassen die Eltern in Ruhe, sie lassen sich anziehen, wickeln, waschen und vieles mehr. Woran liegt das?
Hätte ich strenger sein sollen? Mich mehr durchsetzen, die Dinge auch mal "durchziehen" sollen? Bin ich zuviel auf mein Kind und seine Gefühle und Bedürfnisse eingegangen und jetzt selbst schuld, dass es nicht so "funktioniert", wie ich das manchmal gerne hätte?
Und auf das Kind und seine Eigenschaften bezogen: Könnte oder müsste mein Kind jetzt nicht schon braver, selbstständiger sein? Ist es zu zurückhaltend mit anderen Kindern, zu weich, habe ich es zu sehr geschützt? Oder ist es im Gegenteil zu ruppig, zu wild, habe ich es zu wenig zu Rücksicht Anderen gegenüber erzogen?

Meistens entstehen diese Zweifel und Fragen aus zwei Dingen heraus:
- Ungefragte "Expertenmeinungen" von Nachbarn, Verwandten oder Freunden, dass das Kind doch schon längst XY machen oder können sollte, das eigene Kind würde ja schon lange ganz unkompliziert XYZ und da müsse man nur konsequent und früh genug....
Das andere ist eine eigene Unzufriedenheit im Alltag, ein oder mehrere eigene Bedürfnisse, die momentan zu kurz kommen. Und dann wird unterbewusst die Schuld oder die Lösung beim Kind gesucht. Zum Beispiel habe ich das Gefühl, zu nichts mehr zu kommen, wenn das Kind da ist - sollte es nicht viel mehr auch mal alleine spielen können und mir damit mehr Zeit für Haushalt, Gespräche mit dem Partner oder ähnliches geben? Oder ich bin chronisch übermüdet - habe ich es vielleicht verpasst, mein Kind konsequent an durchschlafen/alleine schlafen zu gewöhnen? Oder ich möchte auf einer Familienfeier endlich mal wieder mit den anderen Erwachsenen in Ruhe reden, aber mein Kind ist von den vielen Menschen völlig verschüchtert und klebt nur an mir - ist es zu wenig selbstbewusst und kontaktfreudig, hätte ich es schon früher mehr ins kalte Wasser schubsen und in Gruppen schicken sollen?

Solche und ähnliche Fragen kennt fast jeder, der viel mit Kindern zu tun hat. Welche Zweifel oder Fragen sind dir schon gekommen?

Die Lösung für solche Unsicherheiten ist mehrteilig. Genau genommen habe ich 5 Dinge gefunden, die meiner Meinung nach hilfreich sind im Umgang mit den eigenen Zweifeln.
1. Zum einen sollte man sich bewusst machen, dass "die anderen Kinder", von denen man berichtet bekommt, wie unkompliziert und weit sie in allem sind, ein sehr stark verzerrtes Bild der eigentlichen Realität abbilden. Denn man bekommt meist nur die Erfolgsgeschichten erzählt, selten tauschen sich Eltern ehrlich darüber aus, wenn ihr Kind mit 2 Jahren noch nicht durchschläft, mit 4 noch nicht trocken ist, sehr schüchtern oder unglaublich wild ist. Zum anderen beschönigen viele im Nachhinein in ihrer Erinnerung die Zeit mit ihren eigenen Kindern und schmücken sich auch gerne mit Erziehungserfolgen, kaum einer erinnert sich daran, wie anstrengend das eigene Kind als Baby wirklich war, wie lange es tatsächlich gedauert hat, bis es brav am Tisch gesessen ist und wie verzweifelt und erschöpft man selber manchmal war.
2. Als zweites sollte man unterscheiden, mit welchen Erziehungsmethoden bei den "braven" Kindern gearbeitet wurde: natürlich kann man einem Säugling früh antrainieren, alleine in seinem Zimmer durchzuschlafen. Doch dazu muss man brutale Methoden anwenden, die ein Kind zutiefst traumatisieren können (siehe "Jedes Kind kann schlafen lernen" und ähnliches). Und natürlich kann man ein Kind mit Angst und Druck schon früh dazu bringen, zu "spuren" und sich erwachsenenkonform zu verhalten. Doch das ist generell entwicklungsschädlich und auch häufig traumatisierend. Und dies führt uns zur nächsten Hilfe gegen eigene Zweifel und Unsicherheiten:
3. Informiere dich über die Entwicklung von Kindern und zwar nach dem neuen Stand der Forschung. Was kann man überhaupt in welchem Alter (durchschnittlich) von einem Kind erwarten? Wenn man weiß, dass die sogenannte Schlafreife meist erst mit 2-2,5 Jahren einsetzt, wundert man sich vielleicht weniger darüber, dass das Einjährige noch mehrmals in der Nacht wach wird. Oder wenn einem klar ist, dass die Fähigkeit der Perspektivenübernahme, also das Sich-in-andere-Hineinversetzen, erst ab ca. 4 Jahren beginnt, erwartet man vielleicht weniger soziale Kompetenzen von einem Dreijährigen. Und kann auch fundiert gegenhalten, wenn die ältere Nachbarin erwähnt, dass "ihre Kinder ja in dem Alter schon längst...".

Verbunden mit der eigenen Information über altersspezifische Entwicklung ist auch das Wissen darüber, wie "normal" Verschiedenheit ist, gerade in der kindlichen Entwicklung. Nur weil das Nachbarskind schon früh sprechen konnte und freiwillig mit allen seine Gummibärchen teilt, muss das eigene Kind dies nicht auch im gleichen Alter tun. Man sollte seine eigenen, oftmals viel zu hohen Erwartungen an das eigene Kind immer wieder hinterfragen und (wissenschaftlich) überprüfen, das ist nur fair dem Kind gegenüber.
4. Außerdem sollte man sich über seine eigenen, möglicherweise gerade zu kurz kommenden Bedürfnisse bewusst werden und sich Lösungen überlegen, die unabhängig von den aktuellen Fähigkeiten des Kindes sind. Wenn ich mehr Ruhepausen für mich brauche, kann ich nicht darauf hoffen und drängen, dass mein Kind schnell lernt, sich täglich eine halbe Stunde alleine zu beschäftigen. Wenn ich zuwenig Zeit für Mails und Haushalt habe, könnte ich mir feste Zeiten organisieren, in denen jemand anders auf das Kind achtet. Oder über eine Haushaltshilfe nachdenken. Kinder groß zu ziehen ist anstrengend, es ist nicht nur rosarot und man kommt phasenweise immer wieder zu kurz mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen. Das ist "normal" und nicht die Schuld des Kindes oder einer mangelhaften Erziehung.
5. Als letzten Punkt möchte ich gerne einen Denkanstoß geben zum Thema "Formbarkeit" von Kindern. Oft überschätzt man tatsächlich die Einflussmöglichkeiten von Erziehung, sowohl im Positiven, wie auch im Negativen. Viele Eltern sehen es als ihren persönlichen Verdienst an, wenn sie ein ruhiges, unkompliziertes Baby haben und suchen sich Erklärungen, warum das eigene Kind so wohlgeraten ist, die sie dann auch gerne als Tipps für alle nicht so gesegneten Mitmenschen weitergeben. Das klingt dann zum Beispiel so: "Also wir haben unseren Sohn einfach von Anfang an immer wieder alleine auf seine Decke gelegt, so hat er sich gleich dran gewöhnt, sich auch alleine zu beschäftigen. Wenn man das Kind allerdings immer so viel beachtet wie du das machst, kann das ja gar nichts werden!". Dabei übersehen sie aber möglicherweise, dass ihr braves Kind genauso ruhig und zufrieden geblieben wäre, wenn sie es ganz anders behandelt hätten, einfach weil es sein Naturell ist. Und dass das andere Kind einfach viel mehr Nähe und Zuwendung braucht und sich dies auch nicht aberziehen lässt.
Im Negativen wird aber auch häufig den Eltern die Schuld gegeben, wenn sich Kinder nicht so verhalten wie man es selbst für angemessen hält. Ein wildes, lautes Kind erfährt bestimmt zu wenig Grenzen von seinen Eltern, ein schüchternes, zurückhaltendes Kind wird wahrscheinlich überbehütet und in Watte gepackt und so weiter.
Der Einfluss von Erziehung wurde in der Wissenschaft viel untersucht und diskutiert. Klar ist, dass Erlebnisse, Erziehung und Umwelteinflüsse natürlich prägend sind und Kinder in ihrer ganz eigenen Entwicklung hemmen oder unterstützen können. Gleichzeitig bringt aber jeder Mensch auch schon viele Eigenschaften mit auf die Welt, die nur sehr bedingt veränderbar sind. Dazu gehören das Temperament, der Grad an Sensibilität, extrovertiertes oder introvertiertes Verhalten, Begabungen und das Entwicklungstempo. Es kann also sehr entlastend sein für Erziehende wie auch für die Kinder, wenn wir anerkennen, dass vieles einfach zu diesem Kind gehört und akzeptiert werden sollte und dass wir Erwachsenen nur "Wegbegleiter" sein können von kleinen individuellen Persönlichkeiten, die mit all ihren schönen und herausfordernden Eigenschaften schon da sind. Dass wir aber nie "Umprogrammieren" oder Eigenschaften "produzieren" können. Wir "machen" kein wildes, braves oder schüchternes Kind, indem wir rechtzeitig irgendwelche Hebel bedienen. Sondern wir haben einen Menschen vor uns, der sich nach seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten und Anlagen entwickeln möchte und genau darin können wir ihn unterstützen.

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